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Vrkaufsoffener Sonndag.

Aktualisiert: 6. Feb. 2023

Ich bin in einer Kleinstadt am Rand des Schwarzwalds aufgewachsen und glaubte viele Jahre, ich hätte damals sehr gelitten. Man ist ja schon krankhaft auf der Suche nach einem Kindheitstrauma, das verantwortlich für die eigene suboptimale Selbstoptimierung ist.


Was fühlte ich mich gefangen in diesem Mikrokosmos. Sehnte ich mich nach einer Stadt, die wenigstens etwas mehr Möglichkeiten bietet, als im Multi-Markt nach CDs zu schauen, die man sowieso doof findet. Stattdessen 2 Tafeln Alpia Schokolade für 39 Pfennig mit Pfennigstücken zu bezahlen um diese dann mit meiner besten Freundin an der nächsten Bushaltestelle zu verdrücken. Statt nachts viertelstündlich den Schlag der alten Schilderuhr zu hören. Sonntags zum "Goddesdienschd" zu müssen (eigentlich Früherziehung in Meditation, um die "Dreivierdlschdond" einigermaßen rumzukriegen). Oder wenigstens Mal andere Gesichter zu sehen, als die, die man täglich sieht und in vertrauter Weise verachtet. Der verkaufsoffene Sonntag beim "Hoffmeyer" war kein echtes Highlight. Aber irgendwie doch. "Welled Sie an Heffagranz? Ha jo, no nemmed Se doch bidde!" "Noi, verkaufa dehmer nix heid."


Der Clou am Vrkaufsoffenen Sonndag war nämlich, dass es gar nichts zu kaufen gab. Und der Vrkaufsoffene Sonndag daher auch nicht Vrkaufsoffener Sonndag, sondern "Tag der offenen Tür" hieß. Das versteht man nur, wenn man das Prinzip des Schwäbischen Einzelhandels seinerzeit kennt. Ein Geschäft zu betreten, und nichts zu kaufen, galt als ernsthafte Beleidigung. Der "Tag der offenen Tür" hatte also einen echten Sinn - zweimal im Jahr nur gucken, nichts einkaufen.


Die ablenkungsarme Umgebung hat für ein Kind durchaus Vorteile. Ich durfte Stunden damit verbringen, Wolkenformationen zu betrachten. Einfach nur auf dem Rasen liegen und rumphantasieren. Stundenlang auf einer dünnen Birke sitzen und mit dem Wind auf dem Ast wiegen. Jeden Morgen, Mittag, und Abend zum Gudsnächtle den Baum ansehen, den es länger gibt, als mich. Ich durfte gezwungen sein, mich mit Artikeln in Zeitschriften länger als nur 30 Sekunden zu beschäftigen. Hatte den Luxus, keine Songtexte googeln zu können, sondern war unübersetzbaren Mysterien ausgeliefert, welche die Texte noch großartiger und kunstvoller erscheinen ließen.


Schon komisch, dass man, je größer der Abstand wird, anfängt, den Dingen einen tieferen Sinn beizumessen. An der "Bushalde" wie wir das Drecksstück aus 2 angekokelten Plexiglaswänden nannten, haben wir uns nie groß unterhalten. Also nicht, wie "Mädels" oder "Bitches" das heute tun. Wir saßen oft einfach nur da, und haben nie über unsere Wirkung auf andere nachgedacht. Höchstens über unsere negative Wirkung. Das war dann lustig - und ein bisschen cool. Ich werde nie vergessen, wie Tanja Henninger und ich wie üblich 45 Minuten auf den Schulbus warteten. Vor Langeweile warf Tanja einer It-Tussi (damals hieß das "sie moind sie isch die Tolle" Erdklumpen aus einer Deko-Pflanze in die Haare. Einfach nur just for fun.


Wir sind mit dem Fahrrad durch Dörfer und über Landstraßen gefahren, und waren so frei, wie man das nur aus der Retrospektive begreifen kann.



"Ha mir hen Dreibleskuacha ghet"

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