TikTok kennt mich. Und weiß, wie man mich und meine Einstellung zum Leben auf negative Art manipulieren kann. Welchen Content ich brauche, damit sich die Fülle an gewöhnlichen Alltagssituationen, die ich noch vor wenigen Jahren als völlig normal beurteilt hätte, plötzlich bedrohlich anfühlt. Damit ich, wenn ich eine Landstraße mit dem Fahrrad entlang fahre schon automatisch den Soundtrack von Psycho vermengt mit einer typischen Sprecherstimme von Aktenzeichen XY im Kopf habe. Damit ich, wenn ich ein Juweliergeschäft betrete bereits sehe, wie die samtenen, mit Juwelen bestückten Schubfächer ruckartig in Sporttaschen entleert werden, während mir eine Beretta 92 an die Schläfe gedrückt wird. Damit ich weiß, dass aus harmlosen Beinschmerzen ganz leicht eine Unterschenkelamputation und aus einem Wochenendtrip nach Frankfurt im Handumdrehen eine harte Drogenkarriere entstehen kann.
Dafür ein ganz herzliches Dankeschön.
Dankeschön auch an alle True Crime Podcaster:inen. Dafür, dass ich nicht mehr nach Warna in Bulgarien reisen kann ohne permanent daran zu denken, wie ich demnächst im Lars-Mittank-Stil vom Flughafengelände renne, und für immer im Nichts zu verschwinden. Dankeschön, dass ich an keiner Mülldeponie mehr vorbei fahren kann, ohne dabei an das in Kunststofffolie verpackte menschliche Skelett der ermordeten Lolita Brieger zu denken. Danke, dass mich jede Waffenrecherche bei Google in Panik versetzt, dass mir dies irgendwann als Täterverhalten anrechnet wird, und ich wie Andreas Darsow jahrzehntelang unschuldig im Knast verbringen muss. Danke, dass ich mich bereits beim Betreten eines Hotelfahrstuhls leblos im Wassertank der Hotelanlage treiben sehe. Wie Elisa Lam im Cecil Hotel. Danke, dass ich keine Duschkabinen auf Campingplätzen mehr betreten kann, ohne mich von den versteckten Kameras perverser Spannern beobachtet zu fühlen. Danke, dass ich nicht mehr nach Paderborn fahren kann, ohne in jeder männlichen Personen zwischen 35 und 75 Jahren den potentiellen Mörder von Frauke Liebs zu erkennen. Und, das ist mir ganz wichtig: Danke für eure einfühlsamen Triggerwarnungen. Danach habe ich immer gleich abgeschaltet.
Danke für das Kurieren von Mord- und Totschlagsszenarien orientiert an der Labilität eurer Hörer:innen, nicht Nein sagen zu können. Für das gefühlvolle Kommentieren, wie unvorstellbar grauenvoll ihr die beschriebenen - wie ihr sagt "Cases" - findet. Und dafür, dass ihr mir Folge für Folge deutlich gemacht habt, dass die schönsten Geschichten immer noch das Leben schreibt.
Ihr seid nicht nur große Entertainer:innen. Sondern Heldinnen und Helden, die den Alltag der Menschen mit dem füllen, was es in unserer Welt noch lange nicht genug gibt: dem Schlechten.
Und Danke an mich, dass ich mittlerweile keine True Crime Podcasts mehr höre.
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