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AutorenbildFilialleitung@Ideensupermarkt

Mayday, mayday.

Aktualisiert: 17. März 2023

Die Vorstellung, einen Flugzeugabsturz miterleben zu müssen, beziehungsweise diesen am Ende nicht zu überleben, gehört zu den Horrorszenarien, die mich und viele andere auf dieser Welt schon jahrelang begleiten. "This is your captain speaking". Und der Captain hat nichts Erfreuliches zu erzählen.


Ich habe die Bilder des Concorde-Unglücks im Kopf. Obwohl es heute deutlich krasseres und hochauflösenderes Videomaterial zu Flugzeugabstürzen gibt. Die alten Concorde-Bilder haben mich sehr berührt, und tun das immer noch. Damals, im Jahr 2.000, gab es keine Lives oder Streams. Aber es gab reichlich Raum für das eigene Kino im Kopf. Dieses kann grauenvoller sein, als das Grauen visuell vorgekaut zu bekommen. Und es gab noch nicht ein solches Übermaß an Schreckensbildern. Man hat nicht einfach TikTok durchgecrollt und innerhalb weniger Minuten alles gesehen, was das Leben und Ableben von Mensch und Tier an Grausamkeiten so bieten kann.


Le Concorde, So schön anzusehen, so schwalbengleich, so futuristisch und mit ihre breiten, weissen Rochenflügeln. Auf ihrem letzten Flug erscheint sie mir, wie eine Braut, Eine Braut, deren Kleid jemand hinten angezündet hat. Verhängnisvoller, tiefschwarzer Rauch steigt aus ihrer majestätischen Schleppe auf. Noch gewinnt sie leicht an Höhe, bemüht sich heftig, in den Himmel aufzusteigen. Aber ihre Geschichte ist längst zuende erzählt. Sie strauchelt. Kämpft einen Kampf, den sie nicht gewinnen kann. Denn ihr Ende ist längst besiegelt. Der Blechstreifen der McDonnell Douglas DC-10, der sich bei deren Abflug gelöst, die Tanks der Concorde bei deren Start durchschlagen und das Fahrwerk beschädigt hatte, All das war nicht rückgängig zu machen und passiert.


Ich denke an all die Menschen an Bord, die gerade noch gefragt wurden ob der Hummer mit Cocktailsoße, zerlassener Butter oder Zitrone gereicht werden soll. Welcher Weinjahrgang gewünscht würde. Und was man denn in "Amerika" so vor hätte, nach der Ankunft. All diese Menschen standen in diesem Moment dem Unvermeidbaren Gegenüber.


Wussten sie es? Wie haben sie sich gefühlt? Was haben sie gedacht? Gab es eine Möglichkeit, das Angesicht des Todes durch tiefe Gläubigkeit hübscher aussehen zu lassen? Konnten sie sich mental in einen Zustand versetzen, der auch völlig unerwartetes Sterben, wie dem bei einem Flugzeugabsturz, einfacher und leichter macht? Ich vermute: nein. Selbst der Dalai Lama hat Flugangst. Er wird seine Gründe haben.


Concorde 4590, 15. Juli 2.000. 109 Insassinnen und Insassen. 133 Sekunden nach dem Anrollen zerschellt sie auf dem Hotelissimo-Hotel in Gonesse, Frankreich. 133 Sekunden Start, Flug, Absturz. Alle Passagiere, Flugbegleiter:innen, Kapitän:in und Co-Pilot:in: Über den Wolken im sicheren Angesicht des Todes. Das Ende gewiss vor Augen. Auch wenn die Hoffnung zuletzt stirbt. Neigt sich die Nase der Maschine, in diesem Fall einer mit dem Kennzeichen F-BTSC, erstmal so richtig nach unten, nimmt der Sturzflug Geschwindkeit auf, die keine unserer Körperzellen je gewohnt war, was denken wir dann? Ob man das Verglühen im kerosingetränkten Feuerball noch auf der Haut spüren wird, das Zerplatzen des Körpers noch wahrnehmen wird? Ob man die Chance hat, wie durch ein Wunder zu überleben? Wen man wirklich geliebt hat im Leben? Ob es Gott gibt?


Vermutlich denkt man eher nicht darüber nach, wie das Hotel heisst, auf dem man in wenigen Sekunden aufschlagen würde. Sowas denken nur Zyniker:innen wie ich. Die auch ohne Absturz soviel Schiss haben, der sie auf solche Gedanken kommen lässt. Ab heute höre ich damit auf.

Ich frage mich, ob der Herrgott oder Allah oder wie er heissen mag, ein Erbarmen hat, welches ab einem gewissen Maß an Angst und Todesgewissheit alle bewussten Funktionen unseres Körpers abschaltet. Jedenfalls wünsche ich das allen Personen, die einen Flugzeugabsturz miterleben müssen. Und denen, die als Hexen verbrannt wurden. Und allen, die von Trümmern lebendig begraben im Zementstaub hustend ihre letzten Augenblicke verbrachten. Allen, die kopfüber in Felsspalten steckten, aus denen sie wussten, nie wieder lebend heruszukommen. Es muss so schrecklich gewesen sein, dass ein Mensch es nicht ertragen kann.


Ich fühle mit all denen, die solche Dinge wirklich erleben mussten. Und hasse alle, für die das Martyrium anderer Menschen einfach nur Entertainment ist.







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