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Leonies Happyguide

Zisch! Kathleen Worz, die es mit Instagram Reels über den Weg zum Glück zu vorzeigbaren 100k Follower:innen gebracht hatte, öffnete eine 0,5 Liter Plastikflasche Bier der Penny Eigenmarke „Adelskronen“. Es war das achte an diesem Adventsabend, und Kathleen Worz hatte schon ordentlich einen in der Adelskrone. Für morgen hatte sie ihrer Community unter ihrem Instagram Namen Leonies Unterstrich Happyguide eine Livesession mit dem Titel „jede:r kann Glück“ versprochen. Wie man es mit einfachen Veränderungen schafft, seinem Leben eine positive Wendung zu verschaffen, darum sollte es gehen. Vor ihr lag ein Notizzettel, auf den sie mit einem Plastikkugelschreiber der Techniker Krankenkasse Stichworte gekritzelt hatte. „Glück ist eine Entscheidung“ war dort zu lesen. Und „There is no way to happiness, happiness ist the way.“


Kathleen stieß einen tiefen Seufzer aus, der ohne Unterbrechung in einen langgezogenen Rülpser mündete. Sie griff zu ihrem Samsung Galaxy Zap Flip 3 Smartphone, und klappte es auf, um mit bierduseligen Fingern die Worte „Glück Tipps einfach“ in die bereits geöffnete Google Browser App einzugeben. Inspiriert durch die gefundenen Treffer ergänzte sie die Worte „Achtsamkeit“ und „Positive Thinking“ auf ihrem Notizzettel. Das müsste reichen. Immerhin war Kathleen eine Meisterin langer Intros und Outros, und kannte alle Kniffe, die Community auch ohne relevante Inhalte oder Antworten auf aufkommende Fragen bei der Stange zu halten.


Kathleen legte Smartphone und Notizzettel auf einen Beistelltisch im Industrial-Look, den sie auf der Platform Wayfair bestellt hatte, sammelte 3 der leergetrunkenen Bier-Plastikflaschen ein, um sie einen gelben Sack mit Aufdruck „gelber Sack“ zu werfen. Auf ihrem Weg stieß sie den ohnehin instabilen Lichtringständer um, den sie vor einer Wand aufgebaut hatte, auf der sich ein individualisiertes Wandtattoo mit einem @-Zeichen und dem Namen ihres Instagram Profils befand: Leonies_Happyguide. Kathleen fragte sich, warum sie sich für den Allerweltsnamen Leonie entschieden hatte, der ja auch nur etwa 18,5% besser war, als Kathleen.

Bevor sie eine Antwort auf diese Frage finden konnte, riss sie das Soundgeräusch eines Facetime-Anrufs aus ihren Gedanken. „Phil ruft an“.

„Ohne Vorwarnung gleich facetimen? Bei dem hackt es wohl.“ Kathleen ignorierte den Anruf, und hielt sich für die nächsten Minuten von jeglichen WhatsApp und Social Media Apps fern, damit Phil nicht auf die Idee kommen konnte, dass sie „anwesend“ war.

Natürlich kannte Phil, genau wie jeder, der Soziale Medien und WhatsApp nutzt, dieses Verhalten, und verschob den Kontakt „Kathleen Worz“ umgehend von „Freunde“ nach „Bekannte“.


Um zum ersten Mal an diesem Tag irgendetwas zu tun, was nicht mit Smartphone oder Rechner zu tun hatte, ging Kathleen ein paar Schritte Richtung Küche. Ein Stapel Hello Fresh Boxen gammelte dort ungeöffnet vor sich hin. Beim Eintreffen der ersten Boxen hatte Kathleen diese eifrig fotografiert, und mit den Hashtags #hellofresh #hellozerowaste bei Instagram gepostet. Statt sich aus den „frischen Zutaten und ausgewogenen Rezepten vor deiner Haustür“, wie hello fresh sein Angebot auf der hello fresh Website offeriert ausgewogene Mahlzeiten zuzubereiten, hatte sie sich bei Lieferando Burger, bei Subway-Subs und bei Rewe online frische Lebensmittel in Form von Kesselchips und Kuhmilch-Kakao liefern lassen.


Gelegentlich hatte sie sich gefragt, ob die Food Zusteller:innen wohl manchmal in die Tüten und Boxen reinschauen, und ob es dadurch irgendwann auffliegen könnte, dass sie gar nicht so sehr go vegan und zero waste lebt, wie sie es in Social Media kundtut.


Manchmal hatte sie sogar Angst, dass es eine Art Julian Assange unter den Food Zusteller:innen gibt, der sie irgendwann als pseudovegane Lügnerin outet. Dass es zu einem Shitstorm käme, oder dass Drohnen einer Enthüllungsplatform über ihr Küchenfenster Fotos der vergammelten ungeöffneten Hello Fresh Boxen aufnehmen, und im Internet publizierten könnten.


Kathleen wischte diese Gedanken so schnell vom Tisch, wie sie bei Tinder 20 vorgeschlagene Sexualpartner:innen nach links swipen konnte. „Schummeln tun doch alle. Worauf es ankommt ist doch eigentlich nur, ob man auf der Schummler-Gewinnerseite steht, oder nicht!“


Diesen Gedanken fand Kathleen so smart, dass sie überlegte, ihn auf ihren Notizzettel zu schreiben, oder bei Canva in eine der belanglosen Vorlagen für irgendwelchen Gedankendurchfall einzutippen. Da hatte sie den Gedanken aber schon wieder vergessen.


Sie dachte an morgen, an ihr Live über den Weg zum Glück. Und darüber, wie glücklich es die Teilnehmer:innen allein schon machen würde, wenn sie jede:n etwa Zehnte:n mit einer vorgetäuscht individuellen Ansprache begrüßen würde. „Hey Lara“. „Woopwoop, Köln ist auch da! „Danke du liebe Alena für das Kompliment dass ich super aussehe“

„Sam fragt, welches Makeup ich verwende. Ich schreib euch das in Shownotes“.


Um wenigstens nur verkatert, und nicht auch noch übermüdet zu sein, schleppte sich Kathleen in ihr Badezimmer, und wischte sich mit Wattepads und einem Makeup-Remover der Marke „Balea“ Wimperntusche und Foundation vom Gesicht. Dabei trafen ihre Augen im Spiegel auf - ihre Augen. Sie hatte sich verändert. 800ml Hyaluronsäure in Wangenknochen und Nasolabialfalte, 20 Ampullen Botulinumtoxin in Stirn, Zornesfalte und Lachfältchen hatten ihrem einst jugendlichen Aussehen etwas Maskenhaftes gegeben.


Dies Maske, die sie brauchte, um ihre Rechnungen zu bezahlen. Die Rechnungen von Hello Frsh, Lieferando, Gorillas, Rewe Online, DocBoom, Vodafone, Netflix, Spotify, VOX Now, wunderflats, Vattenfall, Apple iCloud, United Domains, jimdo, Amazon Prime, Google Ads, Greath Lengths, ihre Grafikerin, den Programmierer und die monatlichen Spenden von 1 Euro an den Verein PETA. Diese konnte sie aber steuerlich geltend machen, also alles halb so wild.


Und zum Glück war ja bald Weihnachten. Das Fest der Liebe, der Überweisungen ihres von Mama getrennt lebendem Erzeugers, der Patte aus ihrem Aufruf bei croundfunding.de, wo sie sich zu Weihnachten Spenden für ihr Buch „Seitenweise Glück“ gewünscht hatte.


Aber irgendwie blieb sie, die tiefe Sehnsucht nach dem Echten. Dem Menschlichen. Dem nicht nur für Geld und Likes leben. Kathleen wusste aber auch genau, dass das nicht mehr möglich war. Ihre kleine Sehnsucht hatte keinen Akku. Noch nie einen gehabt.


Stattdessen füllte sich das limbische System ihres Gehirns mit toxischer Positivität. Ein Verhalten, das wir uns in einer Zeit angeeignet hatten, als es noch neue Wege zu gehen und die Welt zu entdecken gab. Nur, dass sie damals noch nicht toxisch war.

„Wir werden Amerika schon erreichen.“ „Klar packen wir den Weg im Winter über die Alpen.“ „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“.


Oder mit Kathleens toxisch positiver Attitude formuliert: „Glück muss man WOLLEN."


Insgeheim hoffte sie darauf, dass sinnlose Kriege unsere abgefuckte Maskengesellschaft wieder zurück zur Besinnung bomben.





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