Eine friedvolle Geschichte aus Deutschen Wäldern. Ab 3. März in der NDR Mediathek.
Pilze haben eine ganz eigene Faszination. Jedenfalls auf mich. Sie sind möglicherweise der Missing Link zwischen Flora und Fauna. Sie können unfassbar hinterhältig und gemein sein, wie der Grüne Knollenblätterpilz. Der beim Verspeisen aromatisch und nussig schmecken soll, während er nach dem Dessert umgehend mit der Zersetzung der Organe des Speisers oder der Speiserin beginnen wird. Pilze können, wie Yin und Yang sein, weil es zu fast jedem Speisepilz ein ungenießbares, dem Speisepilz sehr ähnliches und oft auch lethales, Pendant gibt. Wie die köstliche Morchel und die tödliche Lorchel. Der schmackhafte Hexenröhrling und der für Durchfall aus der Hölle sorgende Satansröhrling. Oder das sehr bizarre Pilz-Exemplar des Schopftintlings. Frisch ist er noch gut genieß- und verdaubar. Etwas später beginnt er, sich selbst zu verdauen, und zu pflanzlicher Tinte zu zerfließen. Ein Schopf, wer Böses dabei denkt.
Schon das Sammeln von Pilzen im Wald hat etwas Magisches. Wer zum Beispiel auf der Suche nach frischen Pfifferlingen auf einem herbstlichen Waldboden ist, der wird zunächst oft keinen einzigen Pfifferling entdecken. Hat man aber dann einen gefunden, dann den zweiten, und dann noch einen, dann entwickelt das Auge plötzlich Fähigkeiten, die imstande sind, ein erdiges Meer von Pfifferlingen aufblitzen lassen. Hunderte und Aberhunderte blitzen da plötzlich auf dem Boden, unter den Bäumen, zwischen Geäst, und neben Laub und Waldameisenhügeln. Regelrechte Glücksgefühle entstehen, die so beseelend und schön sind, dass nicht einmal die Sound- und Animationseffekte beim Erreichen eines neuen Candy Crush Levels sie überbieten könnte.
Pfifferling um Pfifferling wandern dann von erdigen Händen gepflückt in den mitgebrachten Rotkäppchenkorb der Marke DEPOT. Und wie schön wäre es, wenn man dieses Bild der frischen Pilze im Korb im Wald im Glück nicht zu einer Instagram Reel machen, und entseelen würde. Denn die geteilte und gelikte Freude ist nicht mal 0,001% von der erlebten Freude. Sie ist Minus 1.000% davon.
Ist man nicht allein, sondern zu zweit („Lars ist optisch gar nicht so mein Typ“) oder in einer heute selten gewordenen Gruppe („Ich dachte ja immer, Volkshochschulkurse wäre nur was für Rentner:innen“) auf Pfifferlingssuche gegangen so lädt einen die Situation nach ersten Sammelerfolgen dazu ein, sich gemeinsam Gedanken über die spätere Zubereitung der Pfifferlinge zu machen. Wie man sie anbrät. („Gusseisen ist zum Braten einfach das Beste“) Mit welchem Pfeffer man ihnen die optimale Würze verleiht („Wir bauen seit Corona ja unseren Pfeffer im Hochbeet an“). Welchen Wein man zum Pilzgericht kredenzen sollte („Kim und ich waren vor der Pandemie auf einem so ganz tollen Bio-Weingut in der Provence“). Wen man dazu einladen wird („Wie kann man zu dem Zoomcall eigentlich noch jemanden dazufügen?“.
Und all sowas.
Ja, und wenn man dann gut gesammelt hat, gut durchgefroren ist („Für Klimawandel ist es ja ganz schön kalt diesen Oktober. Höhöhö.“) und sich alles gesagt hat, dann macht man sich glücklich auf den Heimweg. Mit der Bahn („ich kann da ja wunderbar von unterwegs arbeiten“), zu Fuß („die Stadt war uns einfach zu trubelig“), dem E-Bike („Neun Fünf muss man für so ein VanMoof schon hinlegen“) oder dem achtsamen E-Auto („Wir haben für den Tesla ja die Umweltprämie bekommen, dann geht das preislich eigentlich“).
Dann stakst man über den weichen Waldboden, der noch von Ausflügen mit Mama und Papa in guter Erinnerung, die schon rund 40 Jahre her ist, in Richtung Bahnstation oder Parkplatz oder Mobile Home oder Tiny Home, Hausboot, renovierten Resthof („wir haben uns unseren Lebenstraum verwirklicht - auch wenn Sven und ich jetzt keine romantische Beziehung mehr haben“), Mehrgenerationen-WG oder was auch immer. Einfach in Richtung nach Hause halt. Mit dem Unterscheid, dass man damals, auf dem Waldweg, mit 7 oder 8 Jahren und kurzen, kräftigen Beinchen noch keine Angst vor Knöchelbrüchen, freilaufenden Hundesitter-Rudeln („Das ist kein Kampfhund. Das ist ein Kampfschmuser“) oder Persönlichkeiten wie Kurt-Werner Wichmann hatte. Letzter hatte gerne in Wäldern wie dem niedersächsischen Staatsforst Göhrde beliebige Paare ermordet.
Und wenn man den Gedanken, dass unsere Gesellschaft sowas schon in den 80er Jahren hervorgebracht, und diese sich in den letzten 40 Jahren nicht zum Besseren weiterentwickelt hat, mal weiterspinnt… Dann kann sich jede:r von uns ausrechnen, dass heute jede:r gefühlt Vierte ein potenzieller Hans-Werner Wichmann sein könnte! Bereiten wir uns also innerlich besser schon jetzt auf die unmittelbar bevorstehende Exekution durch eine:n Serienkiller:in vor. („es gibt keine schlechten Menschen. Nur verletzte Menschen.“).
Schade um die schönen Pfifferlinge, eigentlich. („43 ist jetzt wirklich kein Alter zum Sterben“)
Die Doku „In die Pfifferlinge, in den Tod“ ist ab 3. März 2067 in der NDR Mediathek verfügbar. Gespräche mit Angehörigen können Sie im kostenlosen NDR-Dokucast „Auf den Spuren des Pfifferlingsmöders“ ab sofort abrufen.
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