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Ich in der NDR Talkshow.

Aktualisiert: 17. März 2023

Am Freitag, den 10. Februar 2023 war es endlich soweit: mein erster Auftritt im öffentlich-rechtlichen Fernsehen stand unmittelbar bevor. Die Ergänzung "öffentlich-rechtlich" ist hier nur dem besseren Klang des Satzes geschuldet. Selbstverständlich war ich noch nie in irgendeinem Fernsehen.


Am Morgen erwachte ich noch vor dem Klingelton meines iPhone Weckers. Sonst hatte er die Angewohnheit, mir zum Anheben meiner Stimmung Song-Sequenzen, die ich irgendwann selbst zugeordnet hatte, und sich zwischen "Lady of the Lake"von Brianna Falcone und dem "Nocturne No2 in E Flat" von Frédéric Chopin bewegten, ins Ohr zu dudeln. Damit, ihn als Weckton zuzordnen, kann man sich jeden Lieblingssong bis ans Lebensende versauen. Aber nicht heute. Ich entstieg ohne Soundtrack meinem Bett. Zwar sollte die Aufzeichung erst heute Abend stattfinden, aber da ich die letzten 36 Monate fast ausschließlich in meiner Wohnung existiert hatte, schien mir jede Art von nicht-häuslicher Aktivität so fern, wie alle nichteuropäischen Länder der Welt einer Annalena Baerbock.


Ich musste es also nach langer, langer Zeit wieder schaffen, meine Optik auf ein Niveau bringen, das von der Gesamtbevölkerung als üblich oder angemessen wahrgenommen würde. Also Jeans und Hemd zum Beispiel. Oder Cordhose und Pullover. Keine leichte Aufgabe. Gegen 17 Uhr hatte meine Begleitung den Aufbruch in Richtung NDR Studio geplant. Es blieben neben belastenden Alltagstätigkeiten wie Essen, Atmen und nutzlos am Smartphone herumspielen, noch rund 8 Stunden Zeit, um mir negative Gedanken zu machen. Darin bin ich ausgesprochen gut.


Es beginnt mit Gedanken, die ich mir über die Anreise zum NDR Studio machte. Die Temperaturen bewegten sich an diesem Februartag irgendwo zwischen 8 und 9°C. Die Möglichkeit des Erfriererns hielt ich für eher gering. Aber eine ordentliche Erkältung lethalen Ausgangs erschien durchaus im Rahmen des Möglichen. Den Weg zum Abfahrtsort musste ich mit öffentlichen Verkehrsmitteln bestreiten. Da selbst ich nach 3 Jahren Pandemiepanik von Corona-Ängsten gelangweilt war, fokussierte ich meine toxisch negative Gedankenwelt auf die mittlerweile zum Alltag gehörigen Messerattacken in Bus und Bahn. Ich zog daher den umständlicheren Weg mit dem Bus der bewaffneten Unterwelt des Hamburger Hauptbahnhofs vor. Und ich hatte unbeschreiblich viel Glück. Denn während der gesamten Anreise ergab sich nicht eine einzige Situation, in der ich zwischen Leben und Tod schwebte. Und das trotz 3maligen Umsteigens. Für einen kurzen Moment umstrahlte mich ein warmes, gütiges Licht. Ob Erzengel Gabriel oder ein Esoterik-Scharlatan aus der deutschen Provinz in mich gefahren war, konnte ich dem Licht nicht entnehmen.


Aber wo Licht ist, kennen Menschen wie ich auch den Auschalter. Klick! In der Dunkelheit konnte ich meine negativen Gedanken viel besser weiterspinnen.

Was, wenn sich alles zur völligen Blamage entwickeln würde? Wenn ich in einem Tourette-ähnlichen Anfall lauthals Sätze proklamieren würde, die mir sonst absolut fern sind? Wenn ich mich als Flat-Eartherin outen, den Holocaust leugnen oder Moderatoren und Publikum bepöbeln würde? Wenn ich so heftig niesen müsste, dass lange Rotzefäden von meiner Nase bis zu meinem Pullover hingen, die beim Versuch, sie wegzuwedeln mit weiter Amplitude nach links und rechts ausschlügen, und sich in den Gesichtern anderer Gäste verfangen würden? Mein apokalyptisches Brainstorming war in vollem Gange. Und stoppte, als ich ins Auto meiner Begleitung einstieg. Denn nun musste ich, wie das für Beifahrer üblich ist, die komplette Verkehrssituation kontrollieren. Wegen mir muss das selbstfahrende Auto also schonmal nicht erfunden werden.


Schon nach wenigen Minuten Fahrzeit erreichen wir das Gelände des NDR in Lokstedt. Im Hugh-Greene-Weg 1. Für Hugh Grant hatte es nicht gereicht. Ohne ihn zu kennen ist mir Herr Hugh Greene aber lieber, als ein aggressiver Hollywoodstar mit eintätowiertem Dackelblick.

Der NDR-Pförtner zeigt uns den Weg auf den Parkplatz. Ich dachte eigentlich, dass es Pförtner nur noch in der Vergangenheit oder in heile-Welt-Filmen gibt, die"Familienurlaub mit Folgen" heissen. Nachdem am Empfang meine Gästekarte kontrolliert wurde, ging ich aufgeregt in Richtung Studio. Dort angekommen, war ich überrascht, wieviele Kameramänner und Frauen für so eine, doch recht überschaubare, Produktion im Einsatz waren. Die Gedanken an eine Panikattacke wurden riesengroß. Ich überprüfte das Studio nach potentiellen Fluchtwegen. Suchte nach einer Decke, die ich im Ernstfalle über mich werfen könnte, um mich vor Blicken von - wie Annalena Baerbock sagen würde - "Milliarden Fernsehzuschauer:innen" zu schützen. Aber ich sah keine Möglichkeit. Ich musste das jetzt aushalten. Über mich ergehen lassen. Dort sitzen, wie der vielbesagte Fels in der Brandung.


Aber es gab etwas, das mich von einer Sekunde auf die andere ruhig werden ließ:

Ich war, zum Glück, nur Zuschauer.



















Rechts neben Barbara Schöneberger finden Sie einen relevanten Teil dieses an Inspiration dürftigen Abends, fotografiert von Michèle Hofmann.


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