Gestern Abend habe ich sie gesehen. Die "wunderbare Isabella Rossellini". So würde ich sie nennen, wären nicht schon so viele mit dem Titel der oder die Wunderbare geehrt worden. Nicht alle hatten dieses Prädikat, zumindest meines Erachtens, so wirklich verdient . Ich bevorzuge daher "die interessante Isabella Rossellini" zu schreiben. Zumal ich alle Filme, die man mit ihr kennen könnte oder sollte, gar nicht gesehen habe.
Die interessante Isabella Rossellini betritt die Bühne von Hamburgs kleiner Theaterinstitution Kampnagel und erklärt dem Publikum, dass Mensch und Tier eigentlich dasselbe seien. Mit ähnlich instinktiven Verhaltensmustern, Gleichheiten in Mimik und Gestik. Übereinstimmungen in Anatomie und Fortpflanzungstaktik. Und mit enormen Parallelen im Ausdruck von Gemütszuständen wie Schock, Wut, Freude oder Mitgefühl. Die interessante Isabella Rossellini tut dies so überzeugend, so humorvoll, so einladend und ohne aufgrund ihres Wissensvorsprungs belehrend zu sein.
Sicherlich hat man das schonmal gehört, Evolutionstheorie, wie die Arten entstanden sind, wie sie sich im Laufe der Erdgeschichte verändert haben. Dass wir möglicherweise alle desselben Ursprungs sind.
Aber wie viel davon noch übrig geblieben ist, und dass sich, abgesehen von Anpassung im Sinne eines Survival of the Fittest, im Grunde nichts verändert hat, das wird einem klar, wenn sie auf ihre beobachtende, ausdrückende und für jede:n verständliche Art erklärt.
Sie nutzt dafür mehrere Stilmittel. Sprache, Bild, Ton, Illustration, Schauspiel. Sie wählt so viele Lehrmethoden, dass wirklich jede:r im Publikum verstehen kann, was ihr offenbar ein Anliegen ist. Sie macht diese Veranstaltung, um etwas zu verändern. Sie spielt oscarverdächtig ein Huhn, macht sich literally zum Affen und steht barfuß und botoxfrei auf der Bühne. Um etwas zu bewegen. Zu inspirieren. Echte Denkanstöße zu geben. Sie tut es nicht, um sich selbst darzustellen, Um nochmal die Bühne betreten zu können, die sie so liebt. Sie tut es, weil sie eine Mission hat.
Vermeintlich große Unterschiede, wie die Geschlechtsveränderung bei Schnecken, stellt sie anschaulich, unterhaltsam und trotzdem irgendwie voll neutral vor, regt damit, nachhaltig zum Nachdenken an. Mir geht durch den Kopf, dass Säuglinge sich ähnlich ähneln, wie Menschen, die ein sehr hohes Alter erreicht haben. Dass Geschlechtlichkeit am Anfang wie am Ende des Lebens vor allem durch sekundäre Geschlechtsmerkmale signifikant ist. Dass ein Zusammenhang zwischen der Unterschiedlichkeit der Geschlechter und ihrer Paarungsbereitschaft bestehen könnte. Und dass Unterscheidung vielleicht mehr kulturell, als natürlich ist.
Vergleicht man Körper und Gesichter untrainierter Männer und Frauen, ohne Kleidung und ohne Haarschmuck, so sind die Unterschiede längst nicht so groß, wie sie durch kulturelle oder künstliche Betonung zu sein scheinen.
Wenn man nicht nur weiß, sondern wirklich verstanden hat, dass wir gleich sind, stellt sich mir die Frage, warum wir nichts daraus machen. Aus dem Wissen über die Verwandtschaft. Oder ob wir zunächst den Weg der scheinbaren Überlegenheit gehen müssen, bis klar wird, dass es nicht zu unserem Glück führt. Nicht zu dem Glück, nach dem der Mensch strebt, und nicht zu dem Überleben der Art, nach der jedes Lebewesen strebt. Vielleicht werden wir ja irgendwann alle wieder Naturvölker. Die zwar schneller und öfter sterben, aber für die Momente des Lebens begriffen haben, dass alles ein Miteinander ist. Und dass das auch gut so ist.
Die große Frage, die ich mir stelle, ist, ob die interessante Isabella Rossellini glücklich ist. Ob sie aus ihrem Leben und ihrer Lebenserfahrung all das mitgenommen und gelernt hat, was ich auch gerne noch lernen und begreifen möchte. Ob sie nicht nur weise und schlau ist, sondern immer noch das Leben immer noch liebt. Und ob es nicht Schicksalsschläge wie die Enttäuschung, dass das Versprechen ewiger Liebe keine Garantie für ewiges geliebt werden ist, die den Weg zu ihr selbst ebneten.
Und was bin ich froh, dass ich aus dieser Veranstaltung nicht rausgegangen bin, um zu sagen "Wow, für 70 sieht die ja noch irre gut aus." Sondern mit einem "Wow, was für eine interessante Person." Der ich sehr sehr wünsche, dass sie glücklich ist!
Und wenn mir jetzt noch jemand erklären kann, warum die Performance Darwin lächelt heisst, dann würde ich mich a) freuen und kann mir b) den Titel besser merken: Darwin's Smile.
(Nein, ich frage jetzt nicht ChatGPT - sonst werde ich nach Darwin's Theorie gleich aussortiert ;)
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