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  • AutorenbildFilialleitung@Ideensupermarkt

Bye-bye, Bein.

Andere gehen wegen einer ordinären Meniskus OP einfach für drei Tage ins Krankenhaus. Ich dagegen infiziere mich in einer unter Hygienegesichtspunkten vorbildlichsten Klinik der Stadt mit einem multiresistenten Krankenhauskeim. Während am Tag des Eingriffs noch alles in bester Ordnung scheint, zeigt mein Organismus in der darauffolgenden Nacht beunruhigende Ausfallerscheinungen. Mein Herz rast. Mein Blick springt desorientiert von Seite zu Seite. Ich empfinde dumpfen Schmerz, dessen Gefährlichkeit fühlbar ist. In meiner Vorstellung wühlen Gelenkchirurgen mit dreckigem Operationsbesteck im offenliegenden Fleisch meiner rechtsseitigen Patella. Ich spüre die Anspannung meiner Haut durch eine darunterliegende, vulkanisch sprudelnde Eiterquelle. Alles an meinem Bein pulsiert. Mein verbliebender Menschenverstand erzählt mir, dass mein Körper nicht in der Lage sein wird, sich gegen diese barbarische Bakterienarmee, die von Minute zu Minute größer wird, wehren zu können.


Nachtschwester Andrea kommt herein, und stellt Plastikschälchen mit den üblichen Plazebotabletten in Rosa und Weiß, sowie einen Becher in lachhafter Fluggesellschafts-Tomatensaft-Größe auf mein Klapptablett. Sie ist gerade dabei, ihren Nachtschwester-Standardsatz „So Frau Bach, hier noch ein Betthupferl“ zu formulieren, als sie bemerkt, dass mit meiner Genesung irgendetwas gehörig nicht stimmt. Um wenige Minuten später mit dem diensthabenden Assistenzarzt Dr. Lars F. zurückzukehren. Hier lobe ich mir das deutsche Gesundheitssystem bzw. das, was davon übrig geblieben ist. Denn wo man mich in Indien tagelang meinem Schicksal überlassen hätte, eiternd und fiebernd in einem dreckigen Großraumzimmer, das Flapsen eines Deckenventilator im Ohr, schreitet man in privatisierten Kliniken unserer Bundesrepublik sogleich zur Tat: Inspektion. Diagnose. MRSA-Infektion. Amputation.


Nach einigen Tagen ist die Infektion abgeklungen. Der Amputation sein Dank. Ich liege beruhigungsmittelbedröhnt auf dem Rücken meines Pflegebetts und starre an die Zimmerdecke. Es klopft. Dr. Lars F. kommt als Troika-Gespann mit zwei jugendlichen Ärzten im Praktikum, die sich das mal ansehen sollten herein. Mit wirr abstehenden Haaren, und erniedrigendem Eiterdrainagebeutel am Oberschenkelstumpf richtige ich meinen Oberkörper etwas auf.


Dr. Lars F. erklärt mir monoton, aber sanftstimmig, dass ich ganz, ganz großes Glück gehabt hätte, und locker auch tot sein könnte. Ich kann mein Glück gar nicht fassen. Mein Herz tanzt Discofox. Vom Leben beschenkt hüpfe ich einbeinig aus der Klinik, und gönne mir am Kiosk einen Tetrapak Durstlöscher mit Wassermelonengeschmack.


Wer braucht schon Bein, wenn er so richtig Schwein hat?




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