Egal, um welche Situation es sich handelt. Mir fällt immer ein grausames Ende ein. Einfach mal im Schwimmbad schwimmen? Ich könnte von der Absauganlage angesogen und in Stücken durch die Leitungen gequetscht werden. Oder einfach angesogen am Beckenboden ersticken, da dort unten niemand mein Rudern und Glucksen sehen oder hören kann.
Einfach mal die Rolltreppe nehmen? Ein Schal könnte sich in den Ritzen der Rolltreppe verfangen. Und dann geht alles schneller, als ich denken kann. Der Schal wird von der weiterrollenden Treppe festgehalten, und durch meine Weiterbewegung immer kürzer. So kurz, dass er mich schon nach wenigen Sekunden mit dem Hals an die Rolltreppe zieht. Und 20 Zentimeter weiter ist es aus. Die Schlinge zu. Der Hals stranguliert. Dann amputiert. Mein enthaupteter Körper bewegt sich zum Ende der Rolltreppe, während der Kopf Stufe für Stufe nach unten hüpft. Wie eine Erbse auf der Tre-pe-pe-pe-peppe. Die Durchsage am Bahnsteig empfiehlt dazu im Takt die weiterführenden Reisemöglichkeiten.
Einfach mal eine Silvesterrakete zünden? Es könnte sich um eine auf dem Schwarzmarkt erworbene Montagsrakete von überhöhter Sprengkraft und mit überempfindlicher Entzündbarkeit handeln. Kaum halte ich das Streichholz an die Lunte, schon folgt die verhängnisvolle Detonation. Ein zerfetzter Armstumpf erzählt die letzte Geschichte meiner rechten Hand. Und wo ich als Frau mittlere Alters bisher schon überflüssiger Klumpen im Universum war, schreit nun wirklich kein Hahn mehr nach mir. Der Tod in Einsamkeit und Entstelltheit ist mir gewiss. Dabei sollte es so ein schöner Silvesterabend werden.
Einfach mal unter professioneller Anleitung aktiver Teilnehmer eines 60 minütigen Fitnesstraining sein, um gesünder, muskulöser und glücklicher zu werden? Die ungewohnte Anstrengung könnte zu einem Herzinfarkt führen. Eine durch ständiges Vermeiden körperlicher Aktivität unerkannt gebliebene Insuffizienz nunmehr das zum Vorschein bringen, was bereits der Wortlaut einer Insuffizienz beinhaltet: Herzmuskel nicht suffizient für ein Fitnesstraining. Ich spüre das Stolpern in meiner Brust. Ist das schon der Infarkt, oder sind es noch seine Vorboten? Wieviele Jahre bleiben mir noch? Wie lange wird mich die Angst vor dem Infarkt begleiten, bis es tatsächlich soweit ist? Eine Frage, die ich mir allerdings auf keinen Fall stellen ist die, wie ich zügig an einen Termin bei Hausarzt oder Kardiologen komme. Er könnte ja Schlimmeres feststellen! Mir Vorwürfe für meinen Lebenswandel machen. Mich derart in Angst und Schrecken versetzen, dass ein halbwegs eigenständiger Alltag zur Illusion wird. Wir wechseln lieber das Thema und beschäftigen uns mit der Angst vor dem leinenlosen Pitbull, der gerade gefährlich nah in meine Richtung galoppiert.
Einfach mal am Bahnsteig in die U-Bahn steigen? Eine kriegstraumatisierter Person könnte von meinem ausgezehrten Körper Besitz ergreifen, und ihn vor der einfahrenden S1 Richtung Poppenbüttel auf die Gleise schleudern. Ich bedanke mich hiermit in aller Form bei BILD und sympathisierenden Trittbrettmedien, meine und die in zahlreichen anderen Köpfen, ohnehin latent vorhandenen Ängste durch ihre selektive, pessimistische und rassistische Darstellung vermeintlich alltäglicher Gräueltaten derart zu befeuern, dass sie fester im Gedächtnis haften bleiben, als getrocknete Kotze an den Kacheln einer Kieztoilette.
So sammle ich bewusst, aber ungewünscht, die potenziell grausamsten Ausgänge profaner Situationen in meiner Erinnerung. Von Kindesbeinen an. Ganz automatisch. Und natürlich abrufbar in jeder auch nur annähernd ähnlichen Situation. Aber immerhin habe ich damit etwas, das nur noch die wenigsten in unserer Zeit ihr Eigen nennen können: ein Hobby.
Dieser niedlichen Miezekatze ist nichts passiert. Sie wollte nur mal rausgucken.
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