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Zuhören ist keine Tugend mehr.

Aktualisiert: 17. März 2023

Ich wohne gegenüber von einem idyllischen Hinterhofcafé, in dem es ausschließlich vegane und vegetarische Speisen gibt. Was im Verlauf dieser kleinen Geschichte keine zentrale Rolle spielen wird. Am Café-Geschehen bin ich so nah dran, dass die Gäste nicht nur fast vor meiner Haustür, sondern direkt vor meiner Haustür sitzen. Ich kann Gespräche mithören, Menschen beobachten, sehen, was sie essen, wie sie essen, mit wem sie sich treffen und nahezu jede einzelne Speisezutat identifizieren. Dies hat den großen Vorteil, dass mir täglich Beweismaterial für meine laienhaften Gesellschaftsanalysen geliefert wird. Auf dem nachhaltigen Keramikteller serviert.


Eine meiner diesbezüglichen Thesen ist, dass Menschen sich schon lange nicht mehr zuhören. Sie wollen es nicht mehr, und sie können es auch nicht mehr. Gemeinsam frühstücken oder lunchen tut man dennoch. Weil jeder weiß, dass man viel zu schnell futtert, wenn man statt eines Gegenübers nur Tiktok hat. Weil in Gesellschaft alles ein bisschen besser schmeckt. Und weil die Erleichterung, wenn danach wieder jeder seines Weges geht, der Erleichterung ähnlich ist, die sich einstellt, wenn man eine 90-minütige Yoga-Session hinter sich gebracht hat oder endlich mal wieder im Fitnessstudio war. Uff, geschafft. Sozialer Haken hinter.


Ausserdem kann man seinen Lebenspartner oder seine Lebenspartnerin anschließend prima mit Geschichten nerven, die diese:r nicht hören will. „Ach und Suse und ihr Freund überlegen, sich eine Eigentumswohnung in Norderstedt zu kaufen.“ „Suse hat auch immer dieses Magendrücken wenn sie zu lang im Büro war.“

Interessant finde ich, dass die Person, welche selbst im Café war, die Geschichte, die sie später weitererzählt a) nie interessiert hat b) auch beim Weiterkommunizieren dem Partner oder der Partnerin gegenüber nicht interessiert und sie c) auch die Meinung des Partners bzw. der Partnerin dazu nicht interessiert. Es geht schlicht darum, das geduldete Gespräch zu reproduzieren. Wiederzukäuen wie eine Kuh, die 12 Mägen hat, damit sie das olle Gras verdauen kann. Warum nur tun Menschen das?


Kommen wir zurück zu den Inhalten der Gespräche im Café. Nennen wir es „Content“. Den aus Narzissmus produzierten Füllmist für soziale Medien, für den sich in der Regel eben so wenig ernsthaft Interessierte finden.


Ich beobachte, wie Menschen sich vermeintlich zuhören. Wortfetzen, wie „Aha, ja“, „Echt?“ oder „Ach das ist ja ein Ding!“ sind zur Vorspiegelung von Interesse ähnlich häufig, wie die Phrasen, die gedroschen werden, wenn der Kellner die Speisen serviert. „Hm, deines sieht ja echt gut aus!“. „Mit Quinoa kann man ja so viel machen" oder "Da schmeckt eine Kartoffel auch wirklich noch wie eine Kartoffel“. Tja, und am Ende des Cafétreffens führt „Bis ganz bald“ und das hanseatische "TschTschTschTschüss" die Charts der Abschiedslügen an.


Zuhören ist keine Tugend mehr. Weil wir alle so überbefüllt von sozialmedial konsumierten Geschichten sind, dass wir die Geschichten der Menschen, die uns wichtig sind, oder es einmal waren, keine Geduld mehr aufbringen können. Weil sie nicht so spannend sind, wie die bizzaren Geschichten, die uns in 3 Sekunden zusammengefasst auf TikTok undsoweiter serviert werden. Ich finde das traurig. Und weiß auch, dass die Menschen, die das tun, es meistens nicht böse meinen. Aber sie wurden asozialmedial manipuliert.


Was immer noch vorhanden, oder sogar noch heftiger vorhanden ist, ist das Bedürfnis, die eigenen Geschichten loszuwerden. Und wenn schon gute Freunde nicht mehr zuhören wollen, dann braucht unsere Gesellschaft Psychologen, Coaches und Zuhörer:innen, die dafür bezahlt werden. Egal, ob beim Frisör oder im How-to-be-glücklich-Seminar.


Fürchterlich. Und fürchterlich nutzlos. Denn nichts ist sinnentleerter, als beschönigende Geschichten aus dem eigenen Leben zu erzählen. Man selbst kennt das eigene Leben schon. Und beim anderen löst die Beschönigung nur Unzufriedenheit und Neid aus. Na dann Prost vegane Mahlzeit.


Falls diese kleine Anekdote nicht zu negativ für Sie war, würde ich mich freuen, wenn wir uns mal auf eine Kürbis-Quiche treffen. Ich höre Ihnen auch wirklich zu.

Gerne sogar.








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